Intern
Institut für klassische Philologie

Programm

Prof. Dr. Christian Tornau, Würzburg:
Literatur und Karriere. Begriff, Funktion und Reflexion von Bildung in der Spätantike

Der Bildungsdiskurs der Spätantike ist, wie vermutlich die Bildungsdiskurse aller Zeiten einschließlich der Gegenwart, eine Gemengelage aus der energischen Propagierung eines Ideals menschlicher Gesittung unter der Voraussetzung, daß Bildung mehr als nur Wissen ist, und sehr handfesten sozialen Distinktions- und Statusinteressen. Das rein literarisch ausgerichtete spätantike Bildungwesen war deswegen so stabil und erfolgreich, weil es im römischen Imperium die Voraussetzung für Beamtenkarrieren, sozialen Aufstieg und die Zugehörigkeit zur Elite war. Zeugnisse wie die Saturnalien des Macrobius (entstanden um 430 n. Chr.), die uns im spätantiken Sinne perfekt gebildete Menschen in Aktion vorführen, belegen das Verschwimmen dieser sozialen Funktion von Bildung mit einem säkularen und tendenziell außermoralischen Bildungsideal. Gegenstimmen erhoben sich insbesondere von christlicher Seite. Augustinus (354-430 n. Chr.) ging in seinen Confessiones so weit, der traditionellen Bildung als solcher die moralische Deformierung der Persönlichkeit und Entfremdung des Menschen von Gott vorzuwerfen – ein Vorwurf wohlgemerkt, der sich gegen die soziale Funktion der Bildung und nicht gegen ihre Inhalte richtet. Der Ausweg kann für Augustinus nur eine Bekehrung wie die von ihm selbst erlebte sein. Die auf die stadtrömische Aristokratie ausgerichtete missionarische Strategie des Hieronymus (347-419 n. Chr.) besteht dagegen in einer subtilen Mischung aus der Anerkennung der tradierten Bildung und ihrer Degradierung durch Unterordnung unter die "wahre", d.h. biblische Bildung.

Prof. Dr. Theo Kobusch, Bonn:
Die mittelalterliche Universität. Zur Grundlegung freier Bildung und Erziehung

Der Gründung der mittelalterlichen Universitäten als Institutionalisierungen der Denkfreiheit, als Befriedigung bürgerlicher Bedürfnisse nach universaler Wahrheit, kommt weltgeschichtliche Bedeutung zu. Die berühmtesten unter ihnen sind Paris, Bologna, Oxford und Cambridge. Allein Männern zugänglich, weisen sie alle als besonderes Merkmal die Gründung durch die Teilnehmer selbst auf, im Gegensatz zu den deutschen Universitäten, die meist gestiftet worden sind. An einen festen Ort gebunden waren beide Universitätstypen noch nicht, was das zeitnahe Auftreten oft lokaler Gründungsmythen jedoch nicht hinderte. Erst Herder misst den mittelalterlichen Universitäten als "Bollwerke der Wissenschaft" gegen den Kirchendespotismus nach vernichtender Kritik durch Leibniz und Jacobi wieder höhere Bedeutung bei. Fest in klerikaler Hand lag die Bildung an den Kloster- und Domschulen, deren Inhalte in den aus der Antike bekannten septem artes liberales zusammengefasst waren, welche man als Vorstufe zu christlicher Weisheit ansah. Von diesen Institutionen grenzt sich die mittelalterliche Universität inhaltlich stark ab, ebenso wie von den häufig privat gegründeten Hochschulen der Zeit oder den islamischen ebenfalls religiösen masdschids. Zentral mit der mittelalterlichen Universität ist sowohl die materielle als auch die immaterielle "Libertas scholastica" verknüpft. Vielleicht größte Gefahr der akademischen Freiheit war die Auseinandersetzung der Anhänger der via antiqua und der via moderna über die richtige philosophische Grundhaltung, die in Heidelberg zu weitläufigen Auseinandersetzungen und Sanktionen führte, bevor 1452 durch die Gleichberechtigung der Wege der akademische Frieden wieder hergestellt wurde.

Dr. Ulrich Fritz Wodarzik, Lampertheim:
Platonismus und Idealismus

Der Mathematiker und Metaphysiker A. N. Whitehead sagte einmal, dass die traditionelle europäische Philosophie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht. Der neuzeitliche Idealismus eines Kant, Fichte, Hegel und Schelling hat tatsächlich seine Wurzeln im Platonismus, aber auch im Christentum. In platonischer Sprache gedacht, verweist Kant am Anfang seiner Kritik auf die Sokratische Aporie, d.h. die Ratlosigkeit, die sich einstellt, wenn es um die letzten unbedingten Begriffe oder Ideen geht.

Was ist die Idee des Guten? Was ist Gerechtigkeit und wozu ist sie gut? Was ist Tugend? Wie begreifen wir die praktische Notwendigkeit eines moralischen Imperativs? Was meinen wir, wenn wir vom Wissen sprechen? Was ist ein Ich? Und was ist ein Du? Ist ein Gott? Was ist das Weltall? Ist das Eine oder das Viele am Anfang des Denkens? Kann man Natur und Freiheit zusammen denken? Was ist Frömmigkeit? All diese Fragen spiegeln Erkenntnisse wider, bei denen das Verstandeswissen mit seinen Kategorien versagt. Endgültige Antworten gibt es nicht. Aber wir haben von Platon und seinen Vorgängern die Methode der Dialektik zur asymptotischen Beantwortung dieser Fragen. Dieses Göttergeschenk der Dialektik an die Menschen, wie wir im Philebos bei Sokrates lesen, bildet zusammen mit der Ideenlehre vielleicht das Herzstück der Platonischen Philosophie. »Die unendliche Subjektivität, Freiheit des Selbstbewußtseins ist im Sokrates aufgegangen. Ich soll schlechthin gegenwärtig, dabeisein in allem, was ich denke« (Hegel).

Prof. Dr. Rainer Hauer, Graz:
Der brennende Sokrates in den ‚Wolken' des Aristophanes

Als drei athenische Bürger die Todesstrafe für Sokrates beantragten, weil er die Götter der Stadt nicht verehre, sondern eigene, neue daimonische Wesen, und obendrein die Jugend verderbe, rechnete sicher niemand mit deren Durchführung. Denn es gehörte zum Ritual einer Gerichtsverhandlung, zunächst die schärfste Strafe zu fordern, um sich dann mit einer Kompromißstrafe zu begnügen.

Sokrates sah seine ärgsten Gegner in der anonymen Masse der athenischen Bürger, bei denen er in einen schlechten Rufe gekommen war, weil er, wie er sagte, über lange Zeiten hinweg verleumdet worden sei. Nur den Komödiendichter Aristophanes wußte Sokrates indes als Verleumder per Namen zu nennen, der schon vor 24 Jahren in seiner Komödie "Die Wolken" all diesen Unsinn über ihn behauptet habe, gegen den er sich jetzt zur Wehr setzen müsse. Dabei konnte sich Sokrates so glaubwürdig vor Gericht verteidigen, dass nur 6 Prozent über der Hälfte der Stimmen ihm eine gewisse Schuld zusprachen. Daraufhin sollte nach damaligem Rechtsgebrauch der Angeklagte selbst eine angemessene Strafe für sich benennen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass man sich mit der Strafe der Verbannung begnügt hätte.

Aber nun kommt es zu einem Eklat: Sokrates weigert sich, einen Strafgegenantrag zu stellen, weil er damit Schuld zugegeben hätte. Die Kleinbürger im Volksgerichtshof fühlten sich brüskiert, so dass der Antrag der Anklage auf Todesstrafe nunmehr mit 72 Prozent der Stimmen bestätigt wurde.

Sicherlich zeigt die Erlebnistiefe einer Theateraufführung, bei der 17.000 attische Bürger zusahen, eine nachhaltige Wirkung, auch verstärkt durch einen dazugehörenden Herumsprecheffekt; aber dennoch wird man nicht behaupten können, dass Aristophanes durch die einmalige Aufführung seiner "Wolken" der Drahtzieher bei der Verurteilung des Sokrates gewesen sei, denn erstens waren in der Zwischenzeit 24 Jahre ins Land gegangen und zweitens war es damals durchaus gebräuchlich, in Komödien berühmte Persönlichkeiten in grotesken Zerrbildern zur Schau zu stellen, wobei gleich erinnert werden muß, dass die "Wolken" beim Publikum durchgefallen waren. Der Durchfall der "Wolken" erklärt sich wohl dadurch, dass sie ein höchst defätistisches Stück sind, voller Desavouierungen aller mitwirkenden Figuren, vor allem auch der titelgebenden Wolken selbst, die sich als verführerische gottähnliche Wesen schließlich in Dunst auflösen, aber auch mit hämisch-despektierlichen Äußerungen über das zusehende Publikum, also das Volk, das pointiert in die Handlung mit einbezogen wird.

Aristophenes und Sokrates erleiden auf zwei höchst unterschiedlichen Ebenen dasselbe: Das brüskierte Volk lässt "Die Wolken" durchfallen und liefert Sokrates dem Tode aus. Denn das Volk Athens, der Demos, erlaubt alles, nur nicht die Kritik an sich selbst. Dass 1967 am Nürnberger Schauspielhaus "Die Ritter" und 1977 am Deutschen Theater in Göttingen "Die Wolken" aufgeführt wurden, beide Inszenierungen umjubelt und auch über das Fernsehen ausgestrahlt wurden, das waren leider Eintagsfliegen. Es würde sich gewiß lohnen, beiden Stücken auf dem Theater öfter eine Chance zu geben!

Prof. Dr. Winfried Böhm, Würzburg:
Über Universitäten im deutschen Sinn. Die Universitätsidee des Neuhumanismus

Als etwas spezifisch Deutsches bezeichnet Schleiermacher in der neuhumanistischen Reformdiskussion um 1800 den Gedanken eines dreistufigen Bildungsweges, die Aufeinanderfolge von Schule, Universität und Akademie. Diese Dreiteilung sowie Schellings Begriff einer Allgemeinen Bildung, der in Opposition zur meist praktizierten zweckorientierten Spezialausbildung steht, bilden den Kern von Humboldts Bildungsreform. Der erste Teil der Trias, vor allem das Verhältnis von Schule und Universität zueinander, wird auch aktuell kontrovers diskutiert. Nach Humboldts Bildungsplänen soll im Schulunterricht vor allem ein "Lernen des Lernens" stattfinden, wo neben einer Wissenschaftspropädeutik die Grundvoraussetzungen für (geistige) Freiheit und Autonomie bei den Schülern geschaffen werden, indem der Lehrer sich selbst als solcher überflüssig macht. An der Universität soll dagegen ein gemeinsames Forschen von Lehrenden und Lernenden im Dienste der Wissenschaft erfolgen. Doch zu keiner Zeit waren und sind Bildungsinstitutionen frei von politischen oder ökonomischen Interessen, die meist auf eine gesellschaftliche Disziplinierung und Assimilierung der Folgegeneration abzielen. Staatlich oder kirchlich autorisiert, ist der Lehrer verpflichtet, Wissen und Werte weiterzugeben, die aus pädagogischen wie auch politischen Gründen zu absoluten Wahrheiten stilisiert werden. Die Universität hat sich lange einer solchen Verschulung zu entziehen gewusst und Wahrheits- stets vor Wirkungsinteressen gestellt. Die Didaktisierung der Hochschullehre ist ein noch junges Phänomen.

Prof. Dr. Wolfgang Riedel, Würzburg:
Die heutige Idee der Universität und die Geisteswissenschaften

Professor Riedel, Vizepräsident der Universität Würzburg, nahm in seinem Beitrag kritisch Stellung zur gegenwärtigen, mit dem Namen "Bologna" verbundenen Hochschulreform und bemängelte insbesondere die einseitig fiskalische Ausrichtung der Reform. Er forderte eine klarere Abgrenzung von Universität und Fachhochschule und schlug vor, dem sich in den hohen Studierendenzahlen der geisteswissenschaftlichen Fächer zeigenden "diffusen Bildungsbedürfnis" durch Propädeutika entgegenzukommen.

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